PoC-Screening auf kardiovaskuläre Risikofaktoren

Pilotprojekt Wiener Herzwochen

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Wiener Herzwochen © Husar
© Husar

Insgesamt 47 Wiener Apotheken führten im Rahmen der Wiener Herzwochen zwei Monate lang Screenings bei ihren Kund:innen und Patient:innen auf das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung durch, weltweit die häufigste Todesursache. Dieses Pilotprojekt der Wiener Apothekerkammer wurde von der Universität Wien mit einer fundierten Studie begleitet. Die Ergebnisse dieser Studie, die kürzlich im internationalen wissenschaftlichen Journal Preventive Medicine Reports veröffentlicht wurden, wiesen eindeutig nach, dass durch Screeningtests in der Apotheke Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Diabetes, Hyperlipidämie und Bluthochdruck festgestellt werden können. Sie zeigten jedoch auch Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen, um identifizierte Risiko-Patient:innen einer frühzeitigen Therapie zuzuführen und sie nicht wieder zu „verlieren“.


Typische Lifestyle-Erkrankung

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache weltweit und machen jährlich über 20 Millionen Fälle aus. Obwohl die Inzidenzraten gesunken sind, bleibt die Belastung hoch, insbesondere außerhalb von Gruppen mit einem niederschwelligen Zugang zum Gesundheitswesen. In Österreich sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen für 35 % aller Todesfälle verantwortlich (2023) und stellen somit die häufigste Todesursache dar. Die Autor:innen der Studie betonen: „Die Folgen von drei wichtigen veränderbaren Risikofaktoren – Diabetes, Hyperlipidämie und Hypertonie – können durch Lebensstiländerungen bzw. eine angemessene Behandlung verhindert oder verzögert werden.“

Besserer Zugang durch PoC-Tests

Apotheken sind durch ihre flächendeckende Verteilung, ihre dementsprechend gute Erreichbarkeit und die Expertise der Apotheker:innen ein attraktiver Ort für unterschiedlichste Screening-Maßnahmen. In vielen Ländern wie den USA, Australien, Kanada, Großbritannien, Portugal oder den Niederlanden sind Apotheker:innen autorisiert, Point-of-Care-Tests durchzuführen, die schnelle und zuverlässige Messungen für wichtige kardiovaskuläre Risikofaktoren liefern.
Das erkannte auch der österreichische Gesetzgeber: Mit der im März 2024 in Kraft getretenen Gesetzesänderung dürfen Apotheken Point-of-Care-Tests (PoCT) wie HbA1c und Lipidprofile durchführen – die rechtliche Grundlage für die Wiener Herzwochen.

Priv.-Doz. DDr. Philipp Saiko, Präsident der Apothekerkammer Wien, erläutert das Ziel dieses ambitionierten Projekts: „Wir wollten zeigen, dass die Apotheken geeignet sind, unerkannte Risikopatient:innen zu identifizieren, damit diese dann erfasst, beraten und an den Arzt bzw. die Ärztin weitergeleitet werden können. Dieser Nachweis ist uns gelungen; unsere Kund:innen standen diesem Angebot sehr positiv gegenüber. Dennoch bleibt noch viel zu tun.“
Denn es zeigte sich u. a. eine niedrige Follow-up-Quote, d. h., dass eine Lücke zwischen Risikofeststellung und ärztlicher Behandlung besteht, die es mit effizienten Maßnahmen zu überbrücken gilt. Mag. pharm. Susanne Ergott-Badawi, Vizepräsidentin der Apothekerkammer Wien, betont dazu: „Es braucht eine bessere Einbindung in die Primärversorgung und eine strukturierte Nachbetreuung wie z. B. automatische Terminvereinbarungen, Erinnerungen, digitale Tools und vieles mehr, um die Patient:innen in der Adhärenz zu halten. Wir Apotheker:innen können auch das bis hin zu einer strukturierten Übergabe an den Arzt/die Ärztin leisten, aber nur mit einer adäquaten Honorierung, die es uns erlaubt, solche zeitintensiven Betreuungen durchzuführen.“


“„Mehr als die Hälfte der getesteten Personen wiesen bislang unerkannt kardiovaskuläre Risikofaktoren auf. Diese Patient:innen einer frühzeitigen Therapie zuzuführen, verhindert schwere Folgeerkrankungen und entlastet das Gesundheitssystem.“ “
Mag. pharm. Susanne Ergott-Badawi Vizepräsidentin der Apothekerkammer Wien
“„Apothekerinnen und Apotheker können – bei einer entsprechenden Honorierung – eine wichtige Rolle bei der Früherkennung spielen. Der Nutzen hängt jedoch stark davon ab, wie die Anbindung an die weitere medizinische Versorgung strukturiert wird.“ “
Priv.-Doz. DDr. Philipp Saiko  Präsident der Apothekerkammer Wien

Zahlen, Daten, Fakten


Die Studie umfasste 469 Teilnehmer:innen, von denen 445 die Teilnahmekriterien erfüllten und gültige Messwerte lieferten. 24 Teilnehmer:innen wurden aufgrund einer früheren Diabetesdiagnose (25 %) oder fehlender Daten (75 %) ausgeschlossen. Die Studienpopulation umfasste mehr Frauen (71 %) mit einem Durchschnittsalter von 52,4 Jahren. Erhöhte HbA1c-Werte wurden bei 21 % der Studienpopulation identifiziert, darunter 17 % mit Werten im prädiabetischen Bereich und 4 % mit HbA1c-Werten, die bereits auf einen manifesten Diabetes hindeuten. Erhöhte SCORE2-Risikowerte wurden bei 41 % aller eingeschlossenen Personen beobachtet. Zusätzlich wiesen 16 % aller Personen einen erhöhten Blutdruck über 140/90 mmHg auf. Von den 445 Teilnehmer:innen dieser Studie hatten 51 % ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko basierend auf HbA1c-Werten > 5,7 %. 
Davon stimmten 34 % einer Teilnahme am Follow-up zu; von diesen wurden 66 % erfolgreich kontaktiert. Von den kontaktierten Personen betrug die Überweisungsrate zu einer ärztlichen Konsultation 57 %. Als Ergebnis dieser Konsultationen erfolgte bei 43 % die Einleitung oder Modifikation einer medikamentösen Therapie.

Wiener Herzwochen: Studien-Steckbrief

Point-of-care testing of cardiovascular risk factors in Viennese 
community pharmacies
Prev. Med. Rep. 2025; 57: 103209

Studienautor:innen 
Thorsten Bischof, Viktoria Mair, Alexander Schmidt-Ilsinger,
Philipp Saiko, Susanne Ergott-Badawi, Bernd Jilma, Stefan Deibl, Christian Schörgenhofer

Studiendesign 
Art: Querschnittsstudie (Cross-sectional study) 
Zeitraum: November bis Dezember 2024 
Ort: 47 Wiener Apotheken 
Optionales Follow-up nach 3 Monaten per Telefon bzw. E-Mail 

Teilnehmer:innen
445 Erwachsene ohne bekannte Diabetes- oder
Hyperlipidämie-Behandlung 
Kosten für die Teilnehmer:innen: € 10,– 

Untersuchungen
HbA1c, Lipidprofil, Blutdruckmessung, SCORE 2(-OP)-Risiko-
einschätzung 

Ergebnisse 
• 51 % der Teilnehmer:innen wurden mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko identifiziert. 
• 21 % zeigten erhöhte HbA1c-Werte 
(17 % prädiabetisch, 4 % diabetisch).
• 41 % hatten erhöhte SCORE 2-Werte (altersabhängig).
• 16 % wiesen eine Hypertonie auf (> 140/90 mmHg).
• Von den Risikopersonen nahmen 151 am Follow-up teil,
66 % konnten erreicht werden. 
• 57 % gaben an, eine ärztliche Abklärung gemacht zu haben. 
• 43 % erhielten neue oder geänderte Medikamente. 
• Raucher:innen nahmen signifikant seltener ärztliche 
Konsultationen wahr. 

Apotheken stärker einbinden

Als Conclusio empfehlen die Studienautor:innen eine stärkere Einbindung der öffentlichen Apotheke: Apothekenbasierte Interventionen waren bereits in anderen Bereichen erfolgreich, wie z. B. bei der Raucherentwöhnung, dem Gewichtsmanagement etc. Diese Studie hat nun gezeigt, dass die Screening-Maßnahmen in Apotheken eine praktikable und effektive Methode darstellen, um Personen mit bisher unbekanntem kardiovaskulärem Risiko zu identifizieren. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer:innen waren sich zuvor ihres Risikos nicht bewusst. Daraus ist das Potenzial für zugängliche Einstiegspunkte in die präventive Gesundheitsversorgung ersichtlich. Die Prävalenz von unerkannten Risikofaktoren weist auf Lücken im aktuellen Gesundheitssystem hin und unterstreicht den Wert des opportunistischen Screenings. Eine stärkere Integration der öffentlichen Apotheken in primäre Versorgungswege könnte diese Lücke schließen.


Für das große Engagement bei der Umsetzung dieses Projekts bedanken wir uns sehr herzlich bei allen teilnehmenden Apotheken, dem Team der MedUni Wien rund um Prof. Schörgenhofer und Mag. Bischof sowie Dr. Stefan Deibl und Mag. Alexander Schmidt-Ilsinger von der Fortbildungsabteilung der ÖAK.

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