
Der Begriff Amyloidose umfasst seltene Erkrankungen, die auf einer fehlerhaften Proteinfaltung beruhen. Typisch sind extrazelluläre Ablagerungen von unlöslichen, kleinen Proteinfibrillen, die als Amyloid bezeichnet werden. Diese Amyloidfibrillen verklumpen, sammeln sich in verschiedenen Geweben und Organen an und führen mitunter zu Organfehlfunktionen, Organversagen und Tod.
Die Amyloidosen werden unterteilt in systemische und lokalisierte Formen sowie in erworbene und hereditäre Amyloidosen. Eine dieser Erkrankungen, die Transthyretin-Amyloidose (ATTR), kommt sowohl als erbliche (hATTR) als auch als nicht-erbliche (Wildtyp-)Form vor. Bei der ATTR mit Kardiomyopathie ist vor allem das Herz betroffen, bei der ATTR mit Polyneuropathie (ATTR-PN) das periphere Nervensystem.
Erbkrankheit ATTR mit Polyneuropathie
Die hereditäre ATTR-PN ist eine Erbkrankheit, von der weltweit vermutlich bis zu 40.000 Personen betroffen sind. Die Ablagerungen von fehlgefalteten Monomeren des Transportproteins Transthyretin (TTR) im peripheren Nervensystem führen zu einer Schädigung der peripheren Nerven und verlaufen ohne Behandlung im Allgemeinen innerhalb eines Jahrzehnts tödlich. Zur Therapie wurden in den letzten Jahren einige Medikamente zugelassen: Inotersen (Tegsedi®), Vutrisiran (Amvuttra®) und Patisiran (Onpattro®). Mit Wainzua® (Wirkstoff: Eplontersen) steht nun ein weiteres Medikament zur Behandlung von Erwachsenen mit hATTR-PN der Stadien 1 und 2 zur Verfügung. Schreitet die Erkrankung in das Stadium 3 fort, kann die Therapie mit Wainzua® weitergeführt werden, wenn der Nutzen gegenüber den Risiken überwiegt.
Antisense-Oligonukleotid
Eplontersen ist ein Antisense-Oligonukleotid (ASO). ASO sind kurze, künstlich hergestellte Nukleinsäuren, die gezielt eine bestimmte Erbinformation blockieren können. Bei Eplontersen handelt es sich um ein ASO, das mit einem besonderen „Anhänger“, einem N-Acetylgalactosamin (GalNAc), versehen ist. Diese Modifikation sorgt dafür, dass das Medikament gezielt in die Leberzellen aufgenommen wird – dem Zielort des Wirkstoffs. In den Hepatozyten bindet Eplontersen selektiv an die Boten-RNA für Transthyretin (TTR-mRNA), die die Bauanleitung für das TTR-Protein herstellt.
Abbau der mRNA
Transthyretin (TTR) ist ein spezialisiertes Protein, das sich aus 127 Aminosäuren zusammensetzt, vorwiegend in der Leber gebildet wird und auf den Transport des Schilddrüsenhormons Thyroxin und Vitamin A spezialisiert ist.
Durch die Bindung von Eplontersen an die TTR-mRNA kann die Zelle das TTR-Protein nicht mehr herstellen. Es wird weniger TTR-Protein produziert, wodurch die Menge an TTR-Protein im Blut deutlich sinkt. Weniger TTR bedeutet auch weniger Risiko für Amyloidablagerungen.
Subkutan appliziert
Eplontersen wird in einer Dosierung von 45 mg einmal monatlich subkutan mit einem Fertigpen verabreicht. Das Arzneimittel kann von den Erkrankten selbst oder deren Betreuungspersonen injiziert werden; die erste Injektion sollte jedoch unter Anleitung einer medizinischen Fachkraft erfolgen. Die Selbstapplikation wird in den Bauch oder Oberschenkel empfohlen. Betreuungspersonen können auch in die Rückseite des Oberarms injizieren. Eplontersen darf nicht in geprellte, empfindliche, gerötete oder verhärtete Haut, in Narben oder geschädigte Haut injiziert werden. Der Bereich um den Bauchnabel herum soll gemieden werden.
Wainzua® muss im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C gelagert werden. Der Fertigpen sollte mindestens 30 Minuten vor der Anwendung aus dem Kühlschrank entnommen werden, um vor der Injektion Raumtemperatur zu erreichen. Andere Aufwärmmethoden dürfen nicht angewendet werden.
Wainzua®
Wirkstoff
Eplontersen, ein N-Acetylgalactosaminkonjugiertes 2'-O-2-Methoxyethyl-modifiziertes chimäres Gapmer-Antisense-Oligonukleotid; verhindert die Synthese von TTR-Protein in der Leber.
Indikation
Hereditäre Transthyretin-Amyloidose mit Polyneuropathie der Stadien 1 oder 2 bei Erwachsenen.
Dosierung und Art der Anwendung
45 mg subkutan, einmal im Monat. Selbstinjektion nach Schulung möglich, Fertigpen mind. 30 Minuten vor der Anwendung aus dem Kühlschrank nehmen. Vitamin-A-Supplementierung (MTD 2.500–3.000 I.E. Vitamin A) empfohlen. Keine Daten an Kindern und Jugendlichen.
Warnhinweise
Nutzen/Risiko-Abwägung bei Fortschritt der Erkrankung zu einer Polyneuropathie des Stadiums 3. Auf okuläre Symptome bedingt durch Vitamin-A-Mangel achten.
Schwangerschaft und Stillzeit
In der Schwangerschaft nicht anwenden. Vitamin-A-Spiegel im Serum können nach der letzten Dosis mehr als 15 Wochen lang vermindert sein. Zuverlässige Kontrazeption anwenden. Nicht stillen.
Nebenwirkungen
Vitamin A erniedrigt, Erbrechen, lokale Reaktionen (Erythem, Schmerz, Jucken).
Vitamin A supplementieren
Wainzua® (Eplontersen) beeinflusst aufgrund seines Wirkmechanismus den Vitamin-A-Stoffwechsel und senkt erwartungsgemäß den Vitamin-A-Spiegel im Serum unter den Normalwert. Daher ist eine begleitende Vitamin-A-Supplementierung von ungefähr 2.500 I.E. (Frauen) bis 3.000 I.E. (Männer) pro Tag erforderlich, wobei diese Dosierung nicht überschritten werden sollte. Vor Behandlungsbeginn müssen Vitamin-A-Spiegel im Serum unterhalb des unteren Normwerts korrigiert und alle okulären Symptome oder Anzeichen, die auf einen Vitamin-A-Mangel hinweisen, untersucht werden.
Neben den Vitamin-A-assoziierten Effekten treten unter Wainzua® weitere Nebenwirkungen auf, zu denen Erbrechen, Erythem sowie Schmerzen und Juckreiz an der Injektionsstelle gehören.
Da ein ausreichender Plasmaspiegel von Vitamin A für die normale Entwicklung des Fötus entscheidend ist, es jedoch nicht bekannt ist, ob eine Vitamin-A-Supplementierung ausreicht, um das Risiko für den Fötus zu verringern, gelten besondere Vorsichtsmaßnahmen. Aus diesem Grund muss eine Schwangerschaft vor Einleitung der Behandlung ausgeschlossen werden und Frauen im gebärfähigen Alter müssen eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. In der Stillzeit muss eine Entscheidung getroffen werden, ob das Stillen zu unterbrechen ist oder ob auf die Behandlung mit Wainzua® verzichtet werden soll bzw. die Behandlung zu unterbrechen ist.
Zulassungsstudie
Die Zulassung für Wainzua® basiert auf der Phase-III-Studie NEURO-TTRansform: 144 Patient:innen mit hATTR-PN erhielten alle vier Wochen 45 mg Eplontersen subkutan. Als Kontrolle diente eine externe Placebokohorte von Patient:innen aus der pivotalen Inotersen-Studie, die einmal wöchentlich subkutane Placeboinjektionen erhalten hatten. Über 66 Wochen zeigte Eplontersen gegenüber Placebo einen konsistenten und anhaltenden Nutzen bei allen drei ko‑primären Endpunkten, der prozentualen Reduktion der Serum‑Transthyretin‑Konzentration, der Veränderung des modified Neuropathy Impairment Score + 7 (bildet das Ausmaß der Polyneuropathie ab) und der Verbesserung der Lebensqualität gemessen am Norfolk QoL‑DN-Fragebogen.
Verwendete Grundlagen
- Austria Codex Fachinformation Wainzua®
- Europäischer Beurteilungsbericht zu Wainzua®