Gesundheitskompetenz

Apotheken als Schlüsselakteure in der Prävention

Mag. pharm. Sonja Sofeit, MSc
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Gesundheitskompetenz © Apoverlag
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Gesundheitssysteme sind häufig stark auf Heilung fokussiert, während Prävention noch immer unterrepräsentiert ist. Dabei zeigen Studien klar: Präventivmedizin senkt nicht nur das Risiko schwerer Erkrankungen, sondern reduziert langfristig auch die Kosten für das Gesundheitssystem. Eine zentrale Rolle als niedrigschwellige Anlaufstelle spielen dabei Apotheken, die durch Beratung, Screening und die fachliche Ersteinschätzung einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung leisten können.

Was bedeutet Prävention?

Prävention meint alle Maßnahmen, die darauf abzielen, Krankheiten oder gesundheitliche Beschwerden zu verhindern, bevor sie auftreten (Primärprävention), früh zu erkennen (Sekundärprävention) oder ihre Folgen zu begrenzen, wenn eine Erkrankung bereits besteht (Tertiärprävention). Eng damit verknüpft ist die Gesundheitskompetenz (Health Literacy). Sie bezeichnet die Fähigkeit, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und für die eigene Gesundheit anzuwenden. Dazu gehört das Wissen über Risikofaktoren, Präventionsmöglichkeiten, den Umgang mit Beschwerden und Medikamenten sowie die Navigation im Gesundheitssystem. Ohne ausreichende Gesundheitskompetenz kann Prävention nicht wirksam werden. Menschen mit hoher Gesundheitskompetenz lassen sich eher impfen, nutzen Vorsorgeangebote, ändern Lebensstilfaktoren wie Ernährung, Bewegung oder Rauchen und nehmen ärztliche sowie pharmazeutische Beratung besser wahr. Hier übernehmen Apotheker:innen eine Schlüsselrolle.

Vermeidbare Erkrankungen – ein Blick auf die Statistik

Ein Großteil der heutigen Krankheitslast und der Gesundheitskosten lässt sich durch Prävention und frühzeitige Intervention reduzieren. In der WHO-Europa-Region sterben laut Statistik jährlich etwa 1,8 Millionen Menschen an nichtübertragbaren Krankheiten (Non-Communicable Diseases, NCD), die vermeidbar oder behandelbar wären. Mehr als die Hälfte dieser Todesfälle gehen auf vermeidbare Risikofaktoren zurück: Tabak- und Alkoholkonsum, Bluthochdruck, ungesunde Ernährung, Adipositas und Bewegungsmangel. Nichtübertragbare Krankheiten verursachen in Europa rund 90 % aller Todesfälle. Auch ein erheblicher Teil der Krankheitskosten entsteht durch Erkrankungen, die zumindest teilweise vermeidbar sind. Prävention und Gesundheitsförderung können hier also sehr wirksam sein.

WHO © Richard Juilliart/Shutterstock
© Richard Juilliart/Shutterstock

Wirtschaftlicher Nutzen der Präventivmedizin

Präventionsmaßnahmen lohnen sich nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich – für einzelne Patient:innen, für Gesundheitssysteme und für die Gesellschaft insgesamt. Hier sind einige Aspekte und Belege.

Vermeidung von Produktivitätsverlusten

Krankheitsbedingte Ausfälle, reduzierte Leistungsfähigkeit und Frühpensionierungen stellen enorme Kostenfaktoren dar. Die WHO schätzt die jährlichen Produktivitätsverluste durch vermeidbare NCD-Todesfälle in Europa auf über 514 Mrd. US-Dollar. NCD verursachen weltweit mehr als 70 % aller Todesfälle, in Deutschland sogar über 90 %. Die Ursachen für NCDs sind komplex – oft hängen sie mit individuellem Verhalten, Lebensbedingungen und globalen Faktoren zusammen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, chronische Atemwegserkrankungen und Diabetes stehen im Vordergrund, eine wichtige Rolle spielen aber auch psychische Störungen und Suchterkrankungen. 

Return on Investment (ROI) in der betrieblichen Gesundheitsförderung
In Österreich bringt jeder in Prävention investierte Euro im betrieblichen Gesundheits- und Arbeitnehmerschutz mehr als das Doppelte zurück (Return on Prevention ca. 2,2). 

Kosten-Effektivität und Kosten-Nutzen von Präventionsprogrammen
Eine Studie aus OECD-Ländern untersuchte, wie Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention, insbesondere in alternden Gesellschaften, Kosten bei Gesundheitssystem und sozialen Diensten senken können. Mehr gesunde Lebensjahre bedeuten geringere Belastung der Systeme.
Durch Prävention lassen sich Krankheitslasten (z. B. durch chronische Krankheiten) reduzieren, damit auch Kosten für Langzeitbehandlung, Pflege, Krankenhausaufenthalt etc. Weniger Krankheit bedeutet bessere Lebensqualität, weniger Belastung der Angehörigen und günstigere Demografieeffekte. McKinsey etwa weist darauf hin, dass in Europa für jeden in Gesundheitsverbesserung investierten Dollar mehr als 2,50 Dollar  wirtschaftlicher Nutzen erzielt werden könnten. 

Apothekerin © shutterstock
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Apotheke oft als erste Anlaufstelle

Apotheken übernehmen als erste niederschwellige Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen eine wichtige Rolle.

Zugänglichkeit & Erreichbarkeit
Apotheken sind in vielen Ländern flächendeckend verfügbar, benötigen keine Terminvereinbarung und bieten oft verlängerte Öffnungszeiten. Sie sind damit eine sofortige Anlaufstelle bei leichten Beschwerden, Fragen zu Medikamenten, Impfungen oder Beratung.

Beratung, Prävention & Ersteinschätzung

Apotheken bieten Informations- und Beratungsleistungen zu Lebensstil, Medikamenten, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen. In einigen Ländern können Apotheken impfen oder Vorsorgeuntersuchungen sowie Screenings durchführen. Wenn Symptome auf schwerwiegendere Erkrankungen hindeuten, vermitteln sie an Ärzt:innen oder Notdienste weiter.

Qualität der Arzneimitteltherapie

Apotheker:innen tragen durch Kontrolle von Verschreibungen, Beratung und Aufklärung zur Vermeidung von Fehlanwendungen bei. Medikationspläne und Beratung zur Medikamenteneinnahme erhöhen die Sicherheit und Qualität der Therapie.

Wirtschaftlichkeit erweiterter Apothekenangebote

Systematische Übersichtsarbeiten belegen, dass „advanced pharmacy services“ in Apotheken und primärer Versorgung in mehreren europäischen Ländern kosteneffizient sind, z. B. bei der Behandlung leichter akuter Krankheiten, der Adhärenzförderung, beim Disease Support oder Medikationsmanagement. 
Eine Fallstudie aus Estland zeigte, dass regelmäßige „medication reviews“ bei Heimbewohner:innen direkt Kosten einsparen – durchschnittlich etwa € 43,62 pro Patient:in und Jahr (ca. 8,3 % der jährlichen Arzneimittelkosten). Bei Anwendung dieses Modells auf alle über 75-Jährigen mit mindestens sechs Medikamenten ließen sich rund 2 % des Arzneimittelbudgets Estlands einsparen. 
Ein aktueller Bericht des NHS, England prognostiziert, dass durch Erweiterung der Community Pharmacy Services nicht nur Einsparungen von £ 1,2 Mrd. möglich wären, sondern auch eine Steigerung der gesunden Lebensjahre. Für jedes Pfund, das in den neuen Medicine Service (NMS) investiert wird, gäbe es Einsparungen und gesundheitlichen Nutzen in einem Vielfachen. 

“ In der WHO-Europa-Region sterben jährlichrund 1,8 Mio. Menschen an vermeidbaren Krankheiten –meist durch beeinflussbare Risiken wie schlechte Ernährung, Bewegungsmangel oder Rauchen. “

Herausforderungen und Rahmenbedingungen 

Damit Prävention und Gesundheitskompetenz nicht nur als Schlagworte bestehen, sondern effektiv wirken, sind bestimmte Rahmenbedingungen und Strategien essenziell.

Politische und gesetzliche Unterstützung

Die Erweiterung pharmazeutischer Dienstleistungen erfordert differenzierte Maßnahmen: Während für das Impfen in Apotheken gesetzliche Regelungen und Haftungsklärungen notwendig sind, ist bei Leistungen wie Medikationsmanagement primär die Erstattungsfrage zu lösen. Vergütungszuschüsse, Förderprogramme und klare Reimbursement-Modelle sind hier entscheidend. 

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Prävention wirkt stärker, wenn Apotheken, Ärzt:innen, Krankenkassen, Gemeinden, öffentliche Gesundheitsdienste und andere Akteure zusammenarbeiten, Informationen teilen und Programme koordinieren.

Gesundheitskompetenz fördern

Entscheidend ist es, nicht nur Angebote zu schaffen, sondern Menschen zu befähigen: durch verständliche Informationen, Aufklärung, niedrigschwellige Zugänge, kulturelle Sensibilität und digitale Tools.

Früherkennung und Screenings

Programme, die früh Krankheiten erkennen (z. B. Bluthochdruck, Diabetes, Krebsvorsorge) sind sehr wirksam. Die Herausforderung besteht darin, Zugang und Teilnahmeraten zu erhöhen.

Messung und Evaluation

Um zu verstehen, was wirkt, müssen Programme evaluiert werden – hinsichtlich gesundheitlicher Outcomes, Kosten, Nutzen und gesellschaftlicher Effekte. Dazu braucht es Daten, Forschung und Monitoring.

Finanzierung und nachhaltige Ressourcenzuweisung

Ohne stabile Finanzierung sind präventive Angebote nicht tragfähig. Es braucht Klarheit, wer wofür aufkommt und wie hoch der Aufwand ist.

Fazit für ein nachhaltiges Gesundheitssystem

Prävention und Gesundheitskompetenz sind zentrale Eckpfeiler eines nachhaltigen, leistungsfähigen Gesundheitssystems – sowohl aus humanitärer als auch aus wirtschaftlicher Sicht. Die Daten zeigen 
eindeutig, dass viel Leid und Kosten durch Erkrankungen, die (teilweise) vermeidbar sind, entstehen.
Die Österreichische Apothekerkammer hat konkrete Vorschläge entwickelt, um Prävention systematisch zu verankern. Ein zentrales Konzept ist das bundesweite Präventionskonto: Individuell empfohlene Gesundheits-Checks und Impfungen werden gutgeschrieben und können unbürokratisch per e-Card in der Arztpraxis oder Apotheke eingelöst werden – ein Modell, das bei Gesundheitsministerium und ÖGK auf Offenheit stößt. Bereits pilotiert wurde die strukturierte Medikationsanalyse für die rund 500.000 Österreicher:innen mit Polypharmazie. Eine Studie zeigt, dass ein ausführliches Beratungsgespräch arzneimittelbezogene Probleme um ca. 70 % senken kann. Die Kammer fordert, diese Leistung – wie in Deutschland – als Kassenleistung zu etablieren. 


Serviceleistungen in 
österreichischen Apotheken:
Was wird konkret angeboten 
oder umgesetzt? 

Diabeteserkennung/Früherkennung:

  • In Kärnten wurden 50 Apotheken im Rahmen einer Vorsorgeaktion mit der Apothekerkammer kostenlose Langzeitblutzucker-Tests (HbA1C) angeboten. Dabei wurden bei ca. 5.200 getesteten Personen 1.923 Fälle von Prädiabetes und 178 Diabetesfälle entdeckt.
  • Während der Diabetes-Testwoche (etwa März 2024) bieten Apotheken kostenlose Diabetes-Tests an, um früh Risikofaktoren zu identifizieren und auf Hausärzt:innen zu verweisen.
  • Im Rahmen der Wiener Herzwochen (Nov. bis Dez. 2024) führten 47 Apotheken Screenings auf kardiovaskuläre Risikofaktoren durch. Von 445 Teilnehmer:innen wiesen 51 % ein erhöhtes Risiko auf – mehr als die Hälfte davon zuvor unerkannt. 
  • Apotheken bieten Beratung bei Identifikation auffälliger Testergebnisse (z. B. bei Diabetes bzw. Prädiabetes) und verweisen weiter an Ärzt:innen.

Beratung und Prävention:

  • Informations- und Aufklärungsangebote, z. B. im Rahmen von Aktionswochen, Aufklärung über Diabetes, Risiken, Messung etc. 
  • Beratung zum Lebensstil (z. B. wenn Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel erkannt werden) wird das in Aktionswochen thematisiert.

Monitoring/Langzeitbetreuung:

  • Einige Apotheken bieten HbA1C-Messungen an, auch ohne Arzttermin, als Möglichkeit zur 
    Überwachung des Langzeitblutzuckerspiegels.
  • In Projekten Medikation und chronische Erkrankungen: Medikationsanalyse für Personen 
    mit Mehrfachmedikation, um Einnahme, Wechselwirkungen etc. zu überprüfen

Prävention und neue gesetzliche Rechte:

  • Die Apothekengesetzesnovelle im Frühjahr 2024 erweiterte das Leistungsspektrum: Seither ist der Einsatz von Geräten für den professionellen Gebrauch in Apotheken zulässig. Dies ermöglicht kapilläre Blutabnahmen (Fingerkuppen), Point-of-Care-Tests wie Blutzucker- oder Lipidprofil-Messungen sowie Abstriche im Rahmen der Prävention und Früherkennung.
  • Apotheken positionieren sich zunehmend als „Orte der Prävention und Gesundheitsförderung“ (Apothekerkammer-Positionen, Regierungsvorhaben).
  • Vorsorgetests wie Blutzucker-Tests sind Teil der Angebote zur Kostenreduktion im Gesundheits-
    system: Apothekenkampagnen zeigen, dass solche Tests sowohl gefundenen Prädiabetes als auch echte Diabetesfälle früh erkennen.

Quellen
•   https://www.who.int/teams/noncommunicable-diseases/on-the-road-to-2025, abgerufen am 8.10.2025, Zugriff am 13.10.2025
•   https://www.who.int/europe/de/news/item/27-06-2025-new-data--noncommunicable-diseases-cause-1-8-millionavoidable-deaths-and-cost-us-514-billion-USD-every-year--reveals-new-who-europe-report, Zugriff am 13.10.2025
•   https://www.rki.de/DE/Themen/Nichtuebertragbare-Krankheiten/Studien-und-Surveillance/NCD-Surveillance_inhalt.html, Zugriff am 13.10.2025
•   Wang F, et al.: Investing preventive care and economic development in ageing societies: empirical evidences from OECD countries. Health Econ Rev 2021; 11(1):18
•   Dawoud DM, et al.: Cost effectiveness of advanced pharmacy services provided in the community and primary care settings: A systematic review. PharmacoEconomics 2019; 37,10:1241-1260

Weitere Literatur auf Anfrage

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