Gedächtnisstörungen

Im Alter klaren Kopf bewahren

Mag. pharm. Dr. Birgit  Zonsics
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Pflegekraft reicht Demenzpatientin die Hände © Shutterstock
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Altersvergesslichkeit, Altersdepression, leichte kognitive Einschränkungen und Demenz: Es gibt eine ganze Reihe von Begrifflichkeiten, die verschiedene Zustände bzw. Stadien von Gedächtnisstörungen beschreiben. Allen gemeinsam ist, dass zu Beginn der Erkrankung vorwiegend das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt ist. Das Urteils- und Lernvermögen nimmt ab. 
Bei einer Demenzerkrankung können alltägliche Abläufe nicht mehr vollzogen werden. Die kognitiven Funktionen wie Merkfähigkeit und Logik, Orientierung, Sprache und Auffassungsgabe zeigen über mindestens sechs Monate deutliche Einbußen. Das Bewusstsein und die Sinne sind hingegen nicht getrübt. Betroffene zeigen aber Veränderungen ihrer Persönlichkeit, werden ausfällig oder aggressiv oder ziehen sich zurück und werden motivationslos. Häufig tritt eine Demenz gemeinsam mit metabolischen und vaskulären Erkrankungen auf. Diese stellen auch wichtige Risikofaktoren dar (siehe Kasten 1)1

Risikofaktoren für Demenz15
  • Alter
  • genetische Disposition
  • Schädel-Hirn-Traumata
  • Infektionen (z. B. HIV, Creutzfeldt-Jakob)
  • Depressionen und Angsterkrankungen
  • soziale Absonderung/kognitive Inaktivität
  • niedrige Bildung/sozioökonomische Benachteiligung
  • Hypertonie
  • Dyslipidämie
  • Vitaminmangel
  • Schlafmangel
  • ZNS-Erkrankungen
  • Diabetes
  • Adipositas
  • Arthrose
  • Nikotin- und Alkoholabusus
  • erhöhte Homocysteinkonzentration
  • Umweltfaktoren (Gifte, Luftverschmutzung)
  • Medikamente

Kasten 1


Altersvergesslichkeit

Das menschliche Gehirn baut mit fortschreitendem Alter nach und nach ab. Bereits ab dem 45. Lebensjahr verringert sich die Gedächtnisleistung, was jedoch durch eine verstärkte „fluide Intelligenz“, also komplexeres Denken aufgrund der vernetzten Lebenserfahrungen, ausgeglichen wird.2,3 Altersvergesslichkeit ist somit ein natürlicher Prozess: Die Geschwindigkeit der Gedankenprozesse nimmt ab und man lernt langsamer. Denkt man dann allerdings angestrengt nach, kommen die Erinnerungen wieder. Das Orientierungsvermögen bleibt erhalten und die Persönlichkeit verändert sich nicht. Den Betroffenen fällt auf, dass sie vergesslich sind und sie machen sich Sorgen, demenzkrank zu sein. Die allermeisten sind jedoch in diesem Stadium (noch) nicht von einer Demenz betroffen. Ähnlich wie ein Muskel kann auch das Gehirn trainiert werden, wodurch die Auswirkungen des Abbaus verzögert werden können. Je früher man damit anfängt, umso besser. Es ist jedoch nie zu spät!

Altersdepression

Als Altersdepression wird jede Depression ab dem 65. Lebensjahr klassifiziert. Sie äußert sich wie jede Depression mit Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen, innerer Leere, Interessensverlust etc. und tritt tendenziell öfter bei Frauen auf. Oft ist sie von körperlichen Beschwerden des Alters wie u. a. Schmerzen und Schwindel überlagert und wird daher nicht als Depression erkannt. Auslöser sind oft der Verlust des Lebenspartners, der Übergang in den Ruhestand oder ähnliche Faktoren. 

Symptome wie Gedächtnis-, Konzentrations- und Sprachprobleme werden oft als Demenzanzeichen missinterpretiert, sie beginnen im Unterschied zu einer Demenzerkrankung aber nicht schleichend. Betroffene beklagen ihren Zustand, während Demente versuchen, ihre Schwierigkeiten zu verheimlichen. Die Orientierungsfähigkeit wird beibehalten. Antidepressiva verbessern die Symptome deutlich.4

Kognitive Einschränkungen und Demenz

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Demenzerkrankungen um pathophysiologische Veränderungen des Gehirns. Als Vorstufe dazu tritt oft ein Zustand auf, der als „leichte kognitive Einschränkung“ bezeichnet wird. In etwa 80–90 % der Fälle handelt es sich um primäre Demenzen, welchen irreversibel fortschreitende neurodegenerative Erkrankungen des Gehirns, meist Plaque-Bildung (Alzheimer-, Lewy-Körperchen-, Parkinson-Demenz) oder vaskuläre Störungen zugrunde liegen. Die häufigste Form primärer Demenzen stellt mit etwa 60 % die Alzheimer-Erkrankung dar, 15 % die auf Durchblutungsstörungen des Gehirns zurückzuführende vaskuläre Demenz, weitere 15 % stellen Mischformen der beiden genannten dar und lediglich 10 % setzen sich aus anderen Formen wie der Parkinson-Demenz, medikamentös- oder stoffwechselbedingten Demenzen, der Lewy-Körperchen-Krankheit oder der Frontotemporalen Demenz zusammen.5,6

Ab dem 60. Lebensjahr verdoppelt sich pro fünf Lebensjahren die Wahrscheinlichkeit, an Demenz zu erkranken. Während zwischen 60 und 65 ca. 1 % der Personen von Demenz betroffen sind, sind es bei den über 90-Jährigen schon ca. 40 %; zwei Drittel der Betroffenen sind Frauen. Durch Therapie können primäre Demenzen derzeit nur in ihrem Fortschritt verlangsamt, nicht jedoch aufgehalten werden. Die neurodegenerativen Veränderungen passieren dabei meist schon viele Jahre bevor die ersten Symptome der Demenz erkennbar werden. Daher konzentriert sich die Medizin derzeit auf die frühzeitige Erkennung mittels funktioneller Bildgebung und die Prävention von Risikofaktoren. Ein neuentwickelter Bluttest soll künftig die Früherkennung revolutionieren.7

Exkurs: Delir
Symptome & Ursachen

Ein Geisteszustand, der im fortgeschrittenen Alter öfter zu beobachten ist, ist das Delir. Dabei handelt es sich um eine akute, vorübergehende, meist reversible fluktuierende Störung der Aufmerksamkeit, der Kognition und des Bewusstseinsniveaus. Die dabei präsentierte geistige Verwirrung kann auf viele unterschiedliche Ursachen zurückzuführen sein, hier sollten besonders Medikamente (Achtung Anticholinergika, psychoaktive Substanzen, Opioide) und der Allgemeinzustand (Dehydrierung, Infektionen) der Patient:innen nicht außer Acht gelassen werden. Erkrankungen des Gehirns wie beispielsweise eine Demenz können ebenso wie fortgeschrittenes Alter, sensorische Störungen, multiple Komorbiditäten oder auch eine Alkoholintoxikation ein Delir begünstigen. Ausgelöst werden Delirien, die über Minuten bis Stunden fluktuieren können, beispielsweise durch drei oder mehr neue Medikamente, Infektionen, Dehydrierung, Schock, Hypoxie, Anämie, Immobilität, Unterernährung, Krankenhausaufenthalt, Schmerz, Schlafentzug oder emotionalen Stress. Auch unerkanntes Leber- oder Nierenversagen und daraus resultierende Arzneimitteltoxizitäten können ein Delir verursachen. Sollten bekannte Personen an der Tara plötzlich mit ungewöhnlichen Verwirrtheitszuständen vorstellig werden, empfiehlt es sich, umgehend einen Arzt/eine Ärztin zu rufen.12,13

Kasten 2

Sekundäre Demenz

Einer sekundären Demenz hingegen liegen Ursachen wie Depressionen, Schilddrüsenerkrankungen, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch, Herzinsuffizienz, Vitaminmangel oder Diabetes zugrunde, die einen Gedächtnisverlust mit sich bringen. Werden diese behandelt, kann auch die Demenzsymptomatik verbessert werden und die altersgemäß normale Gedächtnisleistung wiederhergestellt werden. Vor allem an der Tara sollte man sekundäre Demenz stets im Hinterkopf behalten, besonders wenn z. B. merkliche Veränderungen des Geisteszustandes bei Stammkund:innen auffallen.8 Speziell bei multimorbidem Krankheitsbild ist auf Medikamente aus der Beers-9 oder PRISCUS-Liste10 zu achten, die bei älteren Menschen aufgrund der ZNS-Gängigkeit in der Therapie von Grunderkrankungen vermieden werden sollen, da sie eine Demenz verstärken und sich negativ auf die Gehirngesundheit auswirken können. Grob gesagt – alle Substanzen, die ins Gehirn gelangen und dort wirken, können auch Nebenwirkungen wie Demenz auslösen.6 Um diese für ältere Menschen ungeeigneten Medikamente zu ersetzen, wurde die FORTA-Klassifizierung11 erstellt. Bei einer detaillierten Medikationsanalyse können diese Quellen als Nachschlagewerke für eine angepasste Therapie dienen. In Kasten 3 werden Medikamente aufgelistet, die im Zusammenhang mit Demenz als problematisch zu erachten sind.15

Mögliche Auslöser  
Arzneimittel-induzierte Demenz15
  • Benzodiazepine
  • Psychopharmaka (TCA, SSRI, SNRI, MAO-I, Lithium)
  • Neuroleptika
  • Opiate
  • Parkinsonmittel
  • Antiepileptika
  • Anticholinergika
  • Antihypertensiva (zu starke Blutdrucksenkung)
  • Kortikosteroide
  • NSAR
  • Antibiotika (Fluorchinolone, Betalaktame)
  • Theophyllin
  • Antiarrhythmika (auch Digoxin, Lidocain)
  • H1-Antihistaminika
  • orale Antidiabetika, die Hypoglykämien auslösen

Kasten 3


Therapeutische Optionen

Altersvergesslichkeit kann maßgeblich von einem gesunden Lebenswandel, einem strukturierten Tagesablauf, körperlicher und geistiger Aktivität und sozialen Kontakten profitieren. Zur Unterstützung der Gehirndurchblutung können zugelassene Ginkgo-Präparate verwendet werden. Diese wirken jedoch nicht maßgeblich besser als Koffein. 

Auch Nahrungsergänzungsmittel, die Omega-3-Fettsäuren, Vitamin B12, Folsäure, Vitamin E (antioxidativ) oder Phosphatidylserin (Übertragung biochemischer Signale) enthalten, können zur Unterstützung der Gedächtnisleistung prophylaktisch eingenommen werden. In der ÖAZ 19/23 wurden einige Phytopharmaka mit neuroprotektivem Einfluss vorgestellt. 

Eine Heilung der primären Demenz ist derzeit noch nicht möglich. Allerdings kann ihr Verlauf durch medikamentöse Therapien und andere Therapieformen günstig beeinflusst werden. Bei leichten und mittelschweren Formen werden die Acetylcholinesterasehemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin eingesetzt, bei fortgeschrittener Demenz Memantin. Begleitende Depressionen und Unruhezustände werden symptomatisch z. B. mit Antidepressiva oder Neuroleptika behandelt, wobei dabei die FORTA-Liste berücksichtigt werden sollte. Eine ausreichende Vitaminversorgung sowie die Anregung der Gehirndurchblutung durch Ginkgo-Präparate unterstützen zumindest anfangs die Gedächtnisleistung. Eine wichtige Zusatztherapie sind auch neuropsychologische Therapieansätze, welche mittels kognitiver Verfahren und spezifischer Lernstrategien Gedächtnis, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit stärken können. Außerdem profitieren Patienten von Bewegung und Training.16

Quellen

1 Karow T et al.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie 2019 
2 https://www.gelbe-liste.de/krankheiten/demenz
3 Singh-Manoux A et al.: Timing of onset of cognitive decline: results from Whitehall II prospective cohort study. BMJ 2012; 344: d7622
4 Notzon S et al.: Altersdepression. Nervenarzt 2016, 87(9), 1017–1029
5 http://www.alzheimer-gesellschaft.at/informationen/zahlen-statistik/#:~:text=Die%20Alzheimer%2DKrankheit%20ist%20für,Bodies%20(7%2D20%25)

Weitere Literatur auf Anfrage

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