Nicht alles, was Patient:innen als Obstipation empfinden, entspricht der offiziellen Definition. Viele Betroffene haben zwar täglichen Stuhlgang, dieser erfolgt jedoch nur unter großer Anstrengung. Eine ausschließlich objektive Begriffsbestimmung – etwa basierend nur auf der Stuhlfrequenz – wird den Beschwerden der Patient:innen daher nicht gerecht und erfasst zudem nicht alle Betroffenen.
Für die Diagnosestellung sollen sowohl subjektive Kriterien wie starkes Pressen oder das Gefühl unvollständiger Entleerung als auch objektive Parameter wie Stuhlfrequenz und -konsistenz herangezogen werden. Da die Abgrenzung zum Obstipations-prädominanten Reizdarmsyndrom unscharf ist, sollte ein solches vor der Therapie ausgeschlossen werden.
Frauen und Ältere besonders betroffen
Chronische Obstipation tritt je nach Definition und untersuchtem Kollektiv unterschiedlich häufig auf. In Europa sind etwa 15 % der Bevölkerung betroffen, Frauen doppelt so oft wie Männer. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko: Ab 65 Jahren leiden deutlich mehr Menschen an Obstipation, bedingt durch häufigere Einnahme von Schmerzmitteln oder Diuretika, das vermehrte Auftreten neurologischer Erkrankungen und einen meist eher bewegungsarmen Lebensstil. Besonders gefährdet sind bettlägerige Patient:innen, weil der Abbau von Rumpf-, Bauch- und Beckenbodenmuskulatur die Defäkation erschwert. Chronische Obstipation zählt daher zu den typischen geriatrischen Symptomen: Die Prävalenz steigt bei den über 85-Jährigen auf bis zu 37 %, in Pflegeheimen sogar auf rund 80 %.
Lebensstiländerungen als einfache Lösung?
Aber mit viel Trinken, ausreichend Ballaststoffen und einem aktiven Lebensstil lässt sich eine chronische Verstopfung nicht zwangsläufig verhindern. Zwar wurden Zusammenhänge zwischen Obstipation und ballaststoffarmer Ernährung (unter 25 g täglich), geringer Flüssigkeitszufuhr und Bewegungsmangel beschrieben, ob diese Faktoren allein jedoch bei Menschen ohne Obstipationsneigung eine chronische Verstopfung auslösen, ist nicht gesichert. Ausreichendes Trinken ist dennoch wichtig, denn eine Normalisierung der Trinkmenge auf 1,5–2 Liter kann die Symptome verbessern; darüber hinausgehende Flüssigkeitsmengen zeigen aber keinen zusätzlichen Effekt. Ausreichend Aktivität ist aufgrund der unzähligen positiven anderen Effekte auf Körper und Psyche immer empfehlenswert.
Folgende drei Kriterien müssen seit mindestens drei Monaten bestehen
• Mindestens zwei der folgenden Symptome bei mehr als jedem 4. Stuhlgang:
– Klumpiger oder harter Stuhl
– Starkes Pressen
– Subjektiv unvollständige Entleerung
– Subjektive Obstruktion
– Manuelle Manöver zur Erleichterung der Defäkation (digitale Manipulation, Beckenbodenunterstützung); und/oder:
– < 3 spontane Stuhlgänge pro Woche
• Ohne die Einnahme von Laxantien
selten weiche Stühle
• Kriterien für Reizdarmsyndrom nicht erfüllt
Bei Senior:innen spielen mehrere Faktoren hinsichtlich der Obstipationsneigung eine besondere Rolle: Erstens verzehren ältere Menschen durchschnittlich weniger Mahlzeiten und damit auch weniger Ballaststoffe, zweitens nimmt das Durstgefühl im Alter ab. Lösliche Ballaststoffe oder Obst- und Gemüsesmoothies sind daher ein guter Tipp. Zudem nehmen ältere Menschen häufiger Opioide ein als jüngere. Diese Wirkstoffklasse kann sowohl bei chronischem als auch bei akutem Gebrauch zur Obstipation führen (Opioid-induzierte Obstipation, OIC), da sie die propulsive Peristaltik und die epitheliale Sekretion durch Bindung an µ-, δ- und κ-Opioidrezeptoren an enterischen Nervenzellen unterdrückt. Daneben können auch andere Medikamente und Erkrankungen die intestinale Passage beeinträchtigen und so Obstipation auslösen .
Ein Schritt nach dem anderen: Therapie im Stufenschema
Bei Patient:innen ohne Warnsymptome – etwa Anämie, unerklärtem Gewichtsverlust, Blut im Stuhl, progredientem Verlauf, starken Beschwerden oder Mangelernährung – kann zunächst eine probatorische Therapie mit Laxantien erfolgen. Welche Präparate empfehlenswert sind, hängt davon ab, ob eine Stuhlentleerungsstörung oder eine Transit-/Sekretionsstörung vorliegt. Anzeichen einer Transitstörung ist v. a. eine Stuhlfrequenz von weniger als drei Stuhlgängen pro Woche. Eine Entleerungsstörung äußert sich eher durch ein subjektives Gefühl der unvollständigen Entleerung. Die Formen überlappen sich sowohl untereinander als auch mit dem Reizdarmsyndrom.1
Bei Entleerungsstörungen sollten bevorzugt Bisacodyl- oder CO2-freisetzende Suppositorien eingesetzt werden, zur Wirksamkeit von Glycerinzäpfchen mangelt es an Daten. Suppositorien können je nach Notwendigkeit mit anderen Laxantien kombiniert werden. Patient:innen mit Transitstörungen sprechen sehr verschieden auf die unterschiedlichen Gruppen der konventionellen Laxantien an, weshalb bei fortdauernden Beschwerden andere Wirkstoffklassen ausprobiert bzw. Arzneistoffe aus verschiedenen Gruppen kombiniert werden sollten. Erst bei unbefriedigendem Erfolg (mehrerer) medikamentöser Therapien der konventionellen Laxantien kommen weitere Wirkstoffe wie Prucaloprid oder Linaclotid in Frage. Bisacodyl, Natriumpicosulfat und Macrogole sind in der Therapie der chronischen Obstipation auch für Senior:innen Arzneimittel der Wahl .
Überblick über verfügbare Wirkstoffe
Bei den „konventionellen Laxantien“ werden vier Gruppen unterschieden:2
• Darmstimulierende Laxantien (Bisacodyl, Natriumpicosulfat; Anthrachinon-Derivate: Sennesblätter, Rhabarberwurzel, Faulbaumrinde):
Verfügen über einen dualen Wirkmechanismus, da sie die intestinale Wasser- und Elektrolytresorption hemmen und die Sekretion von Flüssigkeit und Elektrolyten stimulieren.
Eine Begrenzung des Einnahmezeitraums von Bisacodyl und Natriumpicosulfat ist unbegründet, denn die oft behaupteten Gewöhnungseffekte treten sehr selten auf. Zu Elektrolytverschiebungen im Serum kommt es nur bei langfristiger Überdosierung. Bisacodyl und Natriumpicosulfat sind sowohl bei kurzfristiger als auch bei mehrwöchiger Gabe wirksam und Mittel der Wahl bei chronischer Obstipation. Die Anwendung in Schwangerschaft (nach ärztlicher Anordnung) und Stillzeit ist möglich.
• Osmotische Laxantien (Polyethylenglycol [PEG]/Macrogol; Lactulose, Lactose, Lactitol, Sorbit;salinische Wirkstoffe: Glaubersalz [Na2SO4], Bittersalz [MgSO4]):
Sind intestinal schlecht resorbierbar und halten daher Wasser im Darmlumen osmotisch zurück, wodurch die Fäzes nicht eindickt, es kommt zur Volumensteigerung im Darm und Förderung der propulsiven Peristaltik.
PEG wird nur minimal resorbiert, weswegen sein Einsatz auch in der Schwangerschaft möglich ist.
Für Senior:innen und/oder Patient:innen mit Herz- oder Nierenerkrankungen ist es gut geeignet. Der Zusatz von Elektrolyten ist bei Obstipation nicht notwendig, elektrolytfreie Präparate sind gleich wirksam und schmecken besser.
Achtung: Salinische Wirkstoffe sollten wegen potenzieller Nebenwirkungen bei chronischer Obstipation eher nicht eingesetzt werden, da sie schlecht untersucht sind und bei Überdosierung Nierenversagen und Darmlähmung verursachen können. Auch bei Herz- und Niereninsuffizienz sind sie potenziell problematisch.
• Gleitmittel (Paraffin, Glycerin):
wirken stuhlaufweichend
Die Einnahme von Paraffin wird aufgrund der möglichen Resorptionsstörung fettlöslicher Vitamine und möglicher Lipidpneumonien nicht mehr empfohlen.
• Füll- und Quellmittel
(Weizenkleie, Leinsamen, Flohsamenschalen etc.):
Sind Ballaststoffe und wirken aufgrund der Volumensteigerung im Darm abführend.
• Medikamente (Nebenwirkungen)
– Opioide
– Anticholinergika
– Trizyklische Antidepressiva
– Neuroleptika
– Antihistaminika
– Calciumhaltige Antazida
– Antihypertensiva
– Spasmolytika
– Diuretika
• Neurologische Erkrankungen
– M. Parkinson
– Multiple Sklerose
– Zerebrovaskuläre Erkrankungen
• Endokrine Erkrankungen bzw. Ursachen (eher selten)
– Hypothyreose
– Schwangerschaft (3. Trimester)
– 2. Zyklushälfte
Wenn konventionelle Laxantien nicht ausreichen, können Prucaloprid (Resolor®) und Linaclotid (Constella®) zum Einsatz kommen. Das Prokinetikum Prucaloprid, ein 5-HT4-Agonist, steigert gezielt die Darmmotilität. Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder Durchfall treten meist nur am ersten Behandlungstag auf, langfristig ist die Verträglichkeit gut. Es wirkt sowohl bei Transit- und Entleerungsstörungen als auch bei Mischformen. Erste Daten deuten auch auf einen Nutzen bei Opioid-Induzierter Obstipation (OIC) hin.
Das Sekretagogum Linaclotid, ein Guanylatcyclase-C-Agonist, erhöht die Wasser- und Chloridsekretion im Darm, weicht den Stuhl auf und steigert das Stuhlvolumen. Es ist auch für die Langzeitanwendung über bis zu 90 Wochen geeignet und in Europa in einer Dosis von 290 µg für das Obstipations-prädominante Reizdarmsyndrom sowie in den USA mit 145 µg für chronische Obstipation zugelassen.
Schattenseite der Schmerztherapie: Opioid-induzierte Obstipation
Die Symptome der OIC sind vielfältig und oft unspezifisch: Patient:innen berichten über Verstopfung, Blähungen, Bauchschmerzen, Krämpfe, Völlegefühl, Übelkeit oder Reflux, aber auch über paradoxe Diarrhoe. Häufig wird der Zusammenhang mit der Opioidtherapie nicht erkannt, da Beschwerden entweder nicht erwähnt oder vergessen werden. Daher sollte jede/r Patient:in unter Opioidtherapie gezielt nach OIC-Symptomen befragt werden.
Eine prophylaktische Laxantiengabe schon zu Beginn der Schmerztherapie ist sinnvoll. OIC betrifft abhängig von Risikofaktoren (wie u. a. Antazida- oder Eiseneinnahme) 15–80 % der Patient:innen.
Die Therapie erfolgt stufenweise, Basismaßnahmen wie Mobilisierung, ausreichende Flüssigkeit und Ernährung entsprechen der Behandlung der chronischen Obstipation, wobei Ballaststoffe zurückhaltend eingesetzt werden sollten, da sie Beschwerden verschlimmern können. Konventionelle Laxantien versagen häufig: Bis zu 93 % der OIC-Patient:innen sprechen nicht darauf an. Es ist wichtig, Betroffene über diese Problematik aufzuklären und weitere Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
PAMORA: Naloxon-Abkömmlinge
Die nächste Therapiestufe der OIC-Behandlung sind peripher wirksame Opioidantagonisten (peripherally acting µ-opioid receptor antagonists, PAMORA). Sie können die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden,
weswegen sie die zentrale Wirkung der Opioide nicht hemmen und ausschließlich µ-Rezeptoren im Darm blockieren.
PAMORA gehen strukturell auf Naloxon zurück, das i. v. als Antidot z. B. bei Heroin-Überdosierung eingesetzt wird. Da Naloxon jedoch bei oraler Einnahme über einen annähernd vollständigen First-Pass-Effekt verfügt, entfaltet es keine zentrale Wirkung. Bei der Einnahme von Oxycodon kann zur Behandlung der OIC daher auch die Fix-Kombination Naloxon/Oxycodon eingesetzt werden. Für die Anwendung von Naloxon bei anderen Opioiden ist die Wirkung noch nicht ausreichend belegt. Weitere PAMORA sind die Naloxon-Derivate Methylnaltrexon (N-alkyliert, Relistor®), Naldemedin (hydrophile Seitenkette, Rizmoic®) und Naloxegol (pegyliertes Naloxon, Moventig®). Methylnaltrexon wird vorwiegend s. c. auf Intensivstationen und palliativ eingesetzt. Naldemedin und Naloxegol sind P-Glykoprotein-Substrate. Beide Wirkstoffe werden nach oraler Einnahme in die Darmschleimhautzellen aufgenommen und durch die P-Glykoprotein-Effluxpumpe wieder ins Darmlumen abgegeben, wo sie erneut an Opioid-Rezeptoren binden. Die Einnahme erfolgt einmal
täglich, vorzugsweise nüchtern vor dem Frühstück. Zu Beginn der Therapie sind gastrointestinale Nebenwirkungen möglich. Apotheker:innen können OIC-Betroffene unterstützen, indem sie frühzeitig auf die Behandlungsmöglichkeit mit PAMORA hinweisen.
Quellen
• Aktualisierte S2k-Leitlinie: Chronische Obstipation der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie & Motilität (DGNM) (2022), AWMF-Reg. Nr. 021–019
• Austria-Codex-Fachinformationen Relistor®, Rizmoic®, Moventig®, Prucaloprid®, Linaclotid®
• Arzneistoff-Datenbank der www.gelbe-liste.de, Zugriff am 20.9.2025
1 https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/sorgfaeltig-die-ursache-abklaeren, Zugriff am 16.9.2025
2 https://viamedici.thieme.de/lernmodul/5197882/4915653/laxanzien Zugriff am 20.9.2025